Interview Landshuter Zeitung
Landshuter Zeitung: Gerechtigkeit ist das große Thema der SPD und auch von Ihnen. Aus Ihrer Sicht gibt es viele Gerechtigkeitslücken – es scheint nur so, als ob sie damit nicht durchdringen bei den Wählern.
Anja König: Ich habe das Gefühl, dass bei den Menschen nicht so ankommt, wenn beispielsweise prognostiziert wird, dass elf Millionen Menschen, die in zehn, fünfzehn Jahren in Rente gehen, in die Altersarmut rutschen könnten, weil wenn wir jetzt nichts ändern, die Rente niedriger sein wird als heute. Sie sehen zu wenig in die Zukunft. Das ist ein Phänomen, das wir kippen müssen. Das kritisieren wir als SPD auch an Wahlslogans wie „Jetzt geht es Deutschland ja gut“ ohne dass an die Zukunft gedacht wird. Wenn wir so weitermachen, dann sehe ich in zehn, zwanzig Jahren große Gefahren. Da werden wir gegensteuern. Die SPD hat in der zurückliegenden Legislaturperiode schon einige Punkte umgesetzt – aber das reicht bei Weitem nicht aus.
Wo sehen Sie denn in der Region Gerechtigkeitslücken?
Ein großes Problem ist die Leiharbeit. Entsprechend viele Leiharbeiter gibt es und die verdienen weniger Geld als ihre Kollegen. Die Betroffenen sehen das oft nicht, weil sie jetzt so um die Runden kommen. Auch geringfügig Beschäftigte gibt es viele. Sie freuen sich, dass sie von ihren 450 Euro keine Abzüge bekommen, aber dadurch wird auch keine Vorsorge für die Zukunft getroffen.
Ist die Zukunftsvorsorge Aufgabe des Staates, oder liegt das nicht auch in der Verantwortung des Einzelnen ?
Natürlich liegt es in erster Linie in der Verantwortung jedes Einzelnen. Aber es gibt Menschen, die nicht vorsorgen oder auch nicht können. Da sehe ich es schon als Aufgabe des Staates an. Schließlich sind die Menschen, die nicht vorgesorgt haben, später vom Staat wieder abhängig, und müssen Geld beantragen. Und das soll ihnen mit einer Zukunftsvorsorge erspart bleiben.
Wo müsste Deutschland konkret sozialer werden ?
Beispielsweise bei der Rente: Die müsste zunächst auf das derzeitige Niveau von 48 Prozent fixiert werden. Perspektivisch muss das Rentenniveau aber weit über 50 Prozent liegen. Nur damit können alle gut von ihrer Rente leben.
Wie lässt sich so etwas finanzieren ?
Dadurch, dass man mehr Menschen in die Rentenkasse einzahlen lässt. Das ist nichts anderes als bei der Krankenversicherung: Man muss die derzeitigen verschiedenen Versorgungsformen auflösen. Es sollen alle einzahlen – auch die Beamten. Deshalb fordern wir perspektivisch die Bürgerversicherung, weil das ein wirklich solidarisches Modell ist. Bei der Krankenversicherung muss der Arbeitgeberanteil an den der Arbeitnehmer wieder angepasst werden, Stichwort Parität. Im Moment nimmt aber das Gegeneinander und die Ellenbogengesellschaft immer mehr zu. Jeder denkt immer nur an sich.
Eine Änderung in der Steuerpolitik fordern Sie auch.
Zum einen muss der Steuersatz von 42 Prozent, der derzeit bei einem zu versteuernden Einkommen von 54 000 Euro greift, erst ab 60 000 Euro gelten. 54 000 Euro verdient z. B. schon ein Facharbeiter bei BMW. Es kann nicht sein, dass ein Manager mit einem Facharbeiter gleich behandelt wird. Damit wollen wir etwas für die Mittelschicht tun. Zum anderen soll der Spitzensteuersatz, der erhöht wird auf 45 % ab 76 200 Euro gelten und ab 250 000 Euro, sollen nochmal drei Prozent auf den Spitzensteuersatz draufkommen – die sogenannte Reichensteuer. Diejenigen, die Geld haben, sollen damit für diejenigen, die wenig haben, einstehen. Den Reichen tut das nicht weh.
Sie fordern auch die Erhöhung des Mindestlohns auf 10,50 Euro. Es gibt aber Untersuchungen, dass der Mindestlohn nicht die gewünschten Effekte erbrachte.
Diese Zahlen kenne ich auch. Wichtig war, dass der Mindestlohn überhaupt einmal eingeführt wurde. Mehr war in der großen Koalition nicht möglich. Wir werden ihn aber spürbar und linear anheben. Wenn man dann auch noch bedenkt, was bei der Einführung des Mindestlohns alles für Hiobsbotschaften in die Welt gesetzt wurden, von wegen Arbeitsplätze gingen verloren und so weiter – und nichts davon trat ein.
Dennoch gibt es die Befürchtung, dass bei einer weiteren Erhöhung irgendwann eine rote Linie überschritten wird, was tatsächlich einen spürbaren Arbeitsplatzverlust zur Folge haben könnte.
Die einzige rote Linie ist für mich, dass die Menschen, die hart arbeiten, ein Einkommen haben müssen, von dem sie leben und sich auch eine Familie leisten können. Ich erlebe viele junge Menschen, die als Leiharbeiter tätig sind, und nicht wissen, wie sie sich eine Familie leisten sollen. Die wissen nicht, ob sie nächste Woche überhaupt noch Arbeit haben. Der Mindestlohn muss angehoben werden. Von 8,84 Euro kann man nicht dauerhaft leben.
Das Thema Integration/Flüchtlinge taucht bei Ihrem Internetauftritt nicht auf. Wieso nicht ?
Flüchtlingspolitik, das weiß ich auch von den Begegnungen auf der Straße, ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Ich kann aber nicht nachvollziehen, wie man sagen kann, dass die Flüchtlinge uns alles wegnehmen. Sicherlich gibt es schwarze Schafe, allerdings nicht nur bei den Flüchtlingen. Mitverursacht haben die Fluchtbewegungen vielfach die Industrienationen. Auch dadurch, dass die EU-Mittel für die betroffenen Länder gekürzt wurden, kamen die Menschen. Wir brauchen beim Thema Flüchtlinge endlich eine europäische Lösung. Und Deutschland benötigt ein Einwanderungsgesetz. Damit können wir z. B. auch einen Teil unseres Fachkräftemangels verringern. Dann haben auch diejenigen eine Chance, die jetzt als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge kommen, bereits vorher in ihrem Heimatland eine Einreisegehmigung zu bekommen.
Das heißt, aber auch, dass man diejenigen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, und hier nicht für den Arbeitsmarkt gebaucht werden, abweist?
Ja. Sie bekommen jetzt ja auch kein Bleiberecht. Gleichzeitig darf man diejenigen, die vor Verfolgung oder Krieg flüchten, nicht abweisen.
Es entstehen ja bei einigen Menschen durch die Flüchtlinge auch Ängste vor dem sozialen Abstieg. Es sieht nur so aus, dass die sich eher der AfD als der SPD zuwenden.
Ich kann diese Ängste nachvollziehen, dass einem von dem Wenigen, was man kriegt, eventuell noch etwas weggenommen wird. Deshalb ist das Thema soziale Gerechtigkeit uns als SPD auch so wichtig. Wir müssen allen Menschen, die in Deutschland leben, eine soziale Absicherung bieten, mit der sie keine Angst zu haben brauchen, wenn andere Menschen kommen, die auch Hilfe benötigen. Es kann z. B. nicht sein, dass Rentner, die ihr Leben lang gearbeitet haben, zum Amt müssen, um aufzustocken. Das ist in einem reichen Land wie Deutschland nicht hinnehmbar, dafür werden wir die Mindestrente einführen. Das ließe sich unter anderem mit einer Finanztransaktionssteuer, die wir fordern, finanzieren.
Welche lokale Themen wollen Sie im Falle Ihrer Wahl mit nach Berlin nehmen ?
Das Thema Nummer eins ist der bezahlbare Wohnraum. Da brauchen wir ein vom Bund gefördertes Programm, ohne, dass beispielsweise der Freistaat sich dann aus der finanziellen Verantwortung zieht. Man kann den Wohnungsbau nicht dem freien Markt überlassen. Auch der Breitbandausbau ist ein wichtiges Anliegen. Auf meinen Fahrten durch den Wahlkreis habe ich das erlebt: Da herrscht teilweise tote Hose. Der Breitbandausbau muss schneller vorangetrieben werden. Auch der zweigleisige Ausbau der Zugstrecke Landshut-Plattling ist ein großes Thema. Dass bisher nichts passiert ist, haben wir der Blockierung durch die bayerische Staatsregierung zu verdanken.