Wohnen ohne Angst vor der Kündigung

Vilsbiburg. Wenn heute von sozialem Wohnungsbau die Rede ist, dann geht es
oft um neue Projekte, die unter dem Druck der Asylkrise in den Kommunen
angestoßen werden. In Vilsbiburg wird sozialer Wohnungsbau seit Jahrzehnten
in einer kontinuierlichen Arbeit von der Baugenossenschaft getragen – und
damit bezahlbarer Wohnraum auch für Bürger mit weniger dickem Geldbeutel
geschaffen. Eine SPD-Delegation unter der Führung von Landtags-Fraktionschef
Markus Rinderspacher besichtigte kürzlich die beiden Neubau-Wohnblocks der
Baugenossenschaft an der Karlsbader Straße und würdigte die Genossenschaft
bei dieser Gelegenheit als „Vorzeigeprojekt für den Freistaat“.

Noch wird in den beiden mehrstöckigen Gebäuden an der Karlsbader Straße
fleißig gearbeitet: Der Aufzug wird installiert, an einigen Stellen ist der
Innenausbau der Wohnungen noch nicht endgültig abgeschlossen. Aber man ist
schon ziemlich weit mit den beiden Wohnblock-Neubauten, für die zwei alte
Gebäude an der gleichen Stelle abgerissen wurden. 26 Wohnungen entstehen an
dieser Stelle, die Hälfte davon wird mit Förderung gebaut, der Rest ist frei
finanziert.

Die Besuchergruppe steigt über die Reste der Baustelle nach oben, Werner
Buchner geht voraus. Der Geschäftsführer der Baugenossenschaft erläutert die
Aufteilung der Wohnungen: „Wir haben verschiedene Größen vorgesehen,
momentan stehen wir in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit 55 Quadratmetern.“ Die
Besuchergruppe von SPD-Politikern, unter ihnen auch 2. Bürgermeister Hans
Sarcher, der die Besichtigung initiiert hat, lobt die solide Ausführung und
die praktische Raumaufteilung der Wohnung. Zwischen 7,20 und 7,50 Euro
kosten die Wohnungen an der Karlsbader Straße Miete pro Quadratmeter. „Wenn
ein Mieter Förderung bekommt, muss er selbst natürlich entsprechend weniger
bezahlen“, erklärt Werner Buchner dazu.

Die Wohnungen werden auch frei vermietet, generell unterscheiden sich nach
Buchners Worten die Sozialwohnungen nicht von den anderen. „Wir wollen nicht
das Gefühl vermitteln, dass einer schlechter wohnt als der andere.“ Allen
Mietern gemeinsam ist jedoch, dass sie Anteile zeichnen und damit Mitglied
der Baugenossenschaft werden müssen. „Zieht jemand aus, bekommt er die
Anteile wieder ausbezahlt“, erklärt Fritz Boger von der Baugenossenschaft
das Prozedere. „Diese Mischung aus Eigentum und Miete ist eine ideale
Wohnform“, zeigt sich Markus Rinderspacher beeindruckt. Vor allem vor dem
Hintergrund, dass in Vilsbiburg ein ganzes Viertel, die sogenannte
„Pfründesiedlung“ von der Baugenossenschaft und ihren Häusern geprägt ist,
kommt deren Arbeit ein noch höherer Stellenwert zu.

Wohnraum nach dem Krieg

Dieser liegt auch in der Vergangenheit von Stadt und Genossenschaft
begründet. Erste Anfänge für das genossenschaftliche Bauen gab es in
Vilsbiburg in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als sich 1919 eine
Kleinwohnungsbaugenossenschaft und 1926 die
Frontkriegerheim-Wohnungsbaugenossenschaft gründeten. Nach dem Zweiten
Weltkrieg waren dann allein im Altlandkreis Vilsbiburg 17 000
Heimatvertriebene aus dem Osten des früheren Deutschen Reiches
unterzubringen. Vor dem Hintergrund dieser Notsituation wurde 1948 die
Frontkriegerheim-Genossenschaft in Baugenossenschaft umbenannt und in einer
gemeinsamen Anstrengung von Verwaltung und Vertriebenen der Wohnungsbau
angepackt. Bereits 1949 errichtete man am heutigen Pater-Olaf-Weg das erste
neue Haus. Dabei schuf die Baugenossenschaft nicht nur preisgünstige und
gute Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen, sondern auch
Arbeitsplätze: „Es gab in dieser Zeit einen eigenen Baubetrieb der
Genossenschaft mit über 60 Arbeitern, die unter anderem die Ziegel für die
Häuser selbst herstellten“, weiß Werner Buchner zu berichten.

Zwischen diesen Anfängen und den aktuellen Neubauten liegen über 60 Jahre.
Heutzutage ist bei der Baugenossenschaft auch der kleine Luxus einer
Dachterrassenwohnung mit Blick auf das grüne Band des Rettenbachs und den
Backsteinturm der Pfarrkirche möglich. Was unverändert geblieben ist, ist
die Sicherheit für die Mieter: „Unser Ziel als Baugenossenschaft ist die
Versorgung der Mitglieder. Niemand muss hier fürchten, irgendwann wegen
Eigenbedarfs eine Kündigung zu bekommen.“ In einer Wohnung der
Baugenossenschaft kann man im positiven Sinne alt werden, dementsprechend
zeichnet die Pfründesiedlung auch ein dichtes soziales Netz aus. „Die Leute
helfen auch mit bei gemeinschaftlichen Aufgaben“, freut sich Werner Buchner.
Dazu passt es auch, dass die Genossenschaft selbst teilweise mit
Ehrenamtlichen an der Spitze arbeitet.

Förderung gekürzt

In einer Gesprächsrunde nach der Baubesichtigung im Verwaltungsgebäude der
Baugenossenschaft betonte SPD-Landtagsfraktionsvorsitzender Markus
Rinderspacher, dass er die Baugenossenschaft Vilsbiburg für ein
Vorzeigeprojekt dieser Art im Freistaat halte. Gleichzeitig übte er Kritik
daran, dass der Freistaat die eigene Wohnraumförderung im Gegenzug zu einer
erhöhten Bundesförderung auf nunmehr 87 Millionen Euro reduziert habe. Auch
von SPD-Landtagsabgeordneter Ruth Müller und der Landshuter SPD-Stadträtin
und Bundestagskandidatin Anja König, die bei der Besichtigung mit von der
Partie waren, wurde das Wirken der Baugenossenschaft gelobt. Zweiter
Bürgermeister Sarcher unterstrich in diesem Zusammenhang, dass die
Baugenossenschaft auch eine regulierende Wirkung auf den Wohnungsmarkt in
Vilsbiburg habe. „Ihre Preisvorgaben verhindern ein Stück weit, dass die
Mieten vor Ort zu weit nach oben gehen.“

Angesichts von 98 Häusern in Vilsbiburg und Geisenhausen, in denen insgesamt
520 Wohnungen vermietet werden, wird das Gewicht der Baugenossenschaft auf
dem lokalen Wohnungsmarkt durchaus deutlich. Und beliebt ist die
Genossenschaft als Vermieter natürlich auch: Der Wechsel der Mieter
innerhalb der Genossenschaft von Alt- in Neubauten funktioniere gut, hob
Werner Buchner hervor. Auch die Wohnungen in den beiden jüngsten Blocks sind
bereits alle vergeben. Aus Sicht der Baugenossenschaft hatte Werner Buchner
noch eine besondere Anregung für die Politiker. Vor dem Hintergrund der vor
rund 15 Jahren begonnenen intensiven Anstrengungen, den Gebäudebestand zu
erneuern, warnte er davor, die gesetzlichen Standards bei Neubauten immer
höher zu schrauben. „Das Ziel des Passivhauses mag für private Bauherrn
erreichbar und sinnvoll sein, beim Geschoßwohnungsbau ist das jedoch
anders.“ Das nehme man als politische Hausaufgabe auf jeden Fall mit,
versprachen die SPD-Politiker abschließend.

Text: Michael Betz, Landshuter Zeitung

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